Kommentar zum städtischen Haushalt 2021

Kommentar zur Verabschiedung des Haushaltes der Stadt Wülfrath am 29.06.2021 der Fraktionsvorsitzenden Ilona Küchler

 

grundsteuer kurveLiebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen,

noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute: 82,4 Millionen Menschen waren es laut UN-Flüchtlingshilfswerk im vergangenen Jahr. Darunter 30 Millionen Kinder und Jugendliche. Bereits 2019 war die Zahl der Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung flohen, auf einen Höchststand gestiegen. Im Jahr 2020 kamen dem Bericht zufolge noch einmal weitere drei Millionen dazu. Die Zahl der aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen ist damit im neunten Jahr in Folge gestiegen.

Und sie haben nichts anderes im Sinn als eine Planung - die Verwaltung und Politik nicht aus „dem hohlen Bauch“ heraus getroffen haben - zu kippen.

Die Corona-Pandemie hat vieles auf den Kopf und uns vor Herausforderungen gestellt. Kriege, Konflikte, Gewalt und Verfolgung, die Menschen in die Flucht getrieben haben, geraten dabei ins Vergessen, weil uns täglich neue „Virus-Varianten-Hiobsbotschaften“ beschäftigen. Wir würden gut daran tun, die Situation nicht zu unterschätzen und gemeinsam für eine offene Gesellschaft einzutreten, in der auch Flüchtlinge Schutz erhalten. Genau dafür müssen wir bereit sein, adäquate Unterbringungsmöglichkeiten vorzuhalten. Das Alte Rathaus wurde verkauft und die Unterkunft In den Eschen abgerissen. Die Häuser in der Fortunastraße wurden so konzipiert, dass perspektivisch eine Umnutzung eingeplant wurde. Jetzt die Aufgabe der Planung zur Verwendung des Gemeindezentrums Süd an der Kastanienallee als zentrale Flüchtlingsunterkunft zu fordern, bedeutet in Kauf zu nehmen, dass wir an anderer Stelle wieder von vorne beginnen und erneut Kosten produzieren. Der geänderte Beschlussvorschlag ist Augenwischerei, bindet Personalressourcen, führt zu Diskussionen, die bereits abgeschlossen waren und gießt Öl ins Feuer derjenigen, die eine soziale Spaltung der Gesellschaft vorantreiben wollen. Ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie letzteres wollen, aber am Resultat ändert es nichts.

 
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Zuge des Antrages von CDU und Bündnis 90/Die Grünen, 5.000 € für die Städtepartnerschaften in den Haushalt einzustellen – ohne zu definieren wofür eigentlich – wurde immer wieder das Wort Völkerverständigung aufgerufen.

Unter Völkerverständigung und Kulturaustausch versteht man eine tief greifende Kommunikation zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Kulturkreisen oder anderen vergleichbaren großen Gruppen auf allen Ebenen. Daher ist es sinnvoll bei diesem Anliegen, nicht nur an Städtepartnerschaften mit westlichen Ländern zu denken, sondern auch an die Menschen, die aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen zu uns kommen und unsere Gesellschaft bereichern.

Wir haben den Topf des Stadtkulturbundes auf 30.000 € aufgestockt und wir haben engagierte Bürgerinnen und Bürger. Das beweisen bisweilen die Schöpferinnen und Schöpfer des WIR-Hauses, Vertreterinnen und Vertreter des Vereins INGA e.V. und viele andere Gruppierungen. Warum also nicht gemeinsam etwas für die Völkerverständigung und den Kulturaustausch vor Ort tun und so gleichzeitig den Menschen die Angst vor dem Unbekannten nehmen. Denn Angst ist soziologisch, kulturell und politisch gelernt: Wovor wir uns fürchten, lernen wir auch durch gesellschaftliche und kulturelle Diskurse, durch Medien und nicht zu unterschätzen - durch politische Debatten.

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

unsere Fraktion hat sich mit Anträgen, die den Haushalt belasten, zurückgehalten und sich auf Forderungen fokussiert, die sich durch Inanspruchnahme von Landes – und Bundesmitteln realisieren lassen. Dabei ist uns durchaus bewusst, dass es sinnvoller wäre, finanzschwachen Kommunen dort zu helfen, wo es dringend notwendig ist, anstatt ihnen eine Vielzahl von Fördertöpfen hinzustellen. Diese Förderpolitik von Bund, Ländern und EU belastet das Verwaltungspersonal und verfestigt ungleiche Lebensverhältnisse. Denn nicht jeder Antrag wird positiv beschieden. Und so mancher Topf bleibt unerreichbar, weil das Personal sich nicht ausschließlich mit der Akquise von Fördergeldern beschäftigen kann.

Uns ist auch bewusst, dass die Fülle kommunaler Aufgaben, nach einer gesunden Personaldecke und –struktur verlangt. Inzwischen geraten auch in reichen Regionen Investitionen ins Stocken, weil Bauämter unterbesetzt sind. Die große Stadt Köln hat beispielsweise ein ganzes Jahr nach einer/m BaudezernentIn gesucht. Die Personalnot spitzt sich zu und gesucht wird, was die kommunale Job-Palette erfordert.

Wenn es darum geht, die Fachbereiche mit entsprechender Personaldecke zu versehen, wenn es darum geht, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses ein gutes, gesundes Arbeitsklima zu bieten und sie wertzuschätzen, haben Sie uns an Ihrer Seite.

Denn: Fehlen die ExpertInnen verzögern sich die Verfahren und das kann weder im Interesse der Bürgerinnen und Bürger noch der Politik sein.

An dieser Stelle möchte ich mich im Namen der Ratsfraktion DIE LINKE/Wülfrather Liste bei Ihnen, liebe Verwaltungsmitarbeiterinnen und –mitarbeiter, für Ihre Geduld, Ihre Bereitschaft der Politik zuzuhören und unzählige Fragen zu beantworten, bedanken. Sie begegnen der Politik respektvoll und wir wissen dies zu schätzen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

interkommunale Kooperationen – wie sie mit der Stadt Mettmann in punkto Bauhof angestrebt wird - können ein Ansatz sein, um die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Im Kern interkommunaler Zusammenarbeit geht es darum Handlungsfelder und Akteure zueinander in Bezug zu setzen und zu verknüpfen. Und es bedeutet dauerhaft tragfähige Strukturen zu pflegen bzw. zu schaffen.

Der Kreis Mettmann hat gestern beschlossen, dem Zukunftsnetz Mobilität NRW beizutreten. Hier kann und sollte Wülfrath z.B. das Gespräch, die Zusammenarbeit mit dem Kreis suchen, um von diesem Schritt zu partizipieren.

Vernetzte Mobilität, eine gelungene Verkehrsplanung unter Berücksichtigung klimarelevanter Aspekte können wir nicht ohne das Umland denken. Die Stärkung des ÖPNV als Beitrag zur Luftreinhaltung und zum Klimaschutz hat einen wichtigen Stellenwert. Gezielt müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, was einen attraktiven ÖPNV ausmacht, damit er für noch mehr Menschen eine Alternative zur Nutzung des eigenen Pkw wird? Ich vermute mal, die meisten unter uns kennen oder erahnen die Antwort: Um die umwelt- und klimapolitischen Ziele zu erreichen, bedarf es einer Verkehrswende mit einem starken und attraktiven ÖPNV als wichtigem Baustein.

Der Ausbau der Linie 601 ist „uns“ jedoch zu teuer. Nun wird über den Einsatz eines Bürgerbusses oder andere Alternativen philosophiert. Ob Bürgerbus oder „On-Demand-Verkehr“ - beides bedeutet Mehrkosten für die Bürgerinnen und Bürger. Das Wuppertaler „On-Demand-Angebot“ ist z.B. vollständig digital. Digital wird auch abkassiert. Die Abrechnung des Fahrpreises erledigt eine App. Bezahlt werden kann über Paypal oder Kreditkarte. 3,86 Euro kostet „der Spaß“ – sprich die Beförderung von Kunden mit AboTicket im günstigsten Tarif bis zwei Kilometer Luftlinie. Wer kein AboTicket besitzt, zahlt mehr. Und wer das nötige Kleingeld nicht hat, kann diese zusätzlichen Angebote nicht nutzen.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wer Klimaschutz betreiben und den Individualverkehr zurückdrängen will, macht sich unglaubwürdig, wenn er den ÖPNV-Ausbau nicht forciert. In Sachen Bürgerbus hat uns die Corona-Pandemie (mit Blick auf die Nachbarstädte) zudem gelehrt, wie schnell diese Busse still stehen. Eine verlässliche Mobilitätsalternative zum Auto sieht so jedenfalls nicht aus.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,

kommen wir nun zu dem wesentlichen Punkt, der uns bereits veranlasste den Haushalt 2018/2019 abzulehnen: Die Erhöhung der Grundsteuer B.

Die Grundsteuern sind umlagefähige Betriebskosten. VermieterInnen geben diese Kosten in vollem Umfang an ihre MieterInnen weiter. Die Grundsteuerbelastung von MieterInnen, aber auch EigentümerInnen unterscheidet sich. Das Alter des Gebäudes, zuweilen der Modernisierungsstand und insbesondere die Wohnfläche wirken sich an dieser Stelle aus. Es gibt eine erhebliche Bandbreite bei der tatsächlichen Kostenhöhe. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der NutzerInnen spielt "im Grundsteuer-System“ keine Rolle. Aber eines ist klar: Die Betroffenheit der MieterInnen ist sehr unterschiedlich.

EmpfängerInnen von ALG II und Sozialgeld sind an dieser Stelle meist nicht betroffen, da ihnen die tatsächlichen bzw. angemessenen Wohnkosten durch das Jobcenter – also Kreis und Stadt - ersetzt werden. Die Grundsteuer B Erhöhung kommt folglich als Bumerang zurück und belastet die öffentliche Hand.

Benachteiligt sind MieterInnen mit durchschnittlichen oder geringen Einkommen. Dies trifft vor allem Familien mit Kindern - die auf größere Wohnungen angewiesen sind – besonders hart.

Benachteiligt sind auch alle WohngeldempfängerInnen. Denn diese müssen die Erhöhungen selbst tragen, da das Wohngeld steigende Kosten nicht berücksichtigt. Anfang 2011 wurde seitens der Bundesregierung bereits der sogenannte Heizkostenzuschuss beim Wohngeld gestrichen. Und auch die Pandemie sorgt für finanzielle Einschnitte. Jede zusätzliche Belastung schmälert folglich das bereits geringe Einkommen dieses Personenkreises.

Ja, die Kommunen sind finanziell unterversorgt, aber dies ist ein strukturelles Problem, das Politik nicht auf die Bürgerinnen und Bürger abwälzen darf.

Und wer glaubt, dass Grundsteuer B Erhöhungen ein nachhaltiges Haushaltskonsolidierungsmittel sind, der irrt. Wir drehen nur immer schneller an dieser Stellschraube und so wird die Zeitspanne zwischen den Erhöhungen kürzer.

Inzwischen kritisieren auch kleine und mittelständische Unternehmen sowie die IHK diese Erhöhungen, welcher sich nicht nur Wülfrath bedient. Grundsteuererhöhungen seien negative Signale ist seitens dieser Verbände zu hören. Wirtschaftsunfreundlichkeit und einer Schwächung der Standortqualität, wird mit der Erhöhung assoziiert. Bedenken dieser Verbände sollten doch zumindest die wirtschaftsnahen Vertreterinnen und Vertreter unter uns aufschrecken lassen.

Sie – liebe Kolleginnen und Kollegen – reden von Generationengerechtigkeit und glauben, dieser allein mit dem Abbau von Schulden gerecht zu werden. Generationengerechtigkeit bedeutet aber auch nachfolgenden Jahrgängen eine intakte Infrastruktur zu hinterlassen. Und es bedeutet, der jungen Generation eine Welt zu hinterlassen, in der Vielfalt und Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda stehen.

Die Bedeutung der Mobilität in diesem Kontext habe ich bereits angesprochen. Tatsächlich bedarf es mehr. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen müssen unter einen Hut gebracht werden. Das gelingt nur, wenn die Stadt verantwortungsvoll mit den vorhandenen Ressourcen umgeht und die Interessen der heutigen sowie der zukünftigen Generationen berücksichtigt. Konkret setzt sich eine nachhaltige Stadt z.B. für ein effizientes Entsorgungssystem, in dem so viel Müll wie möglich recycelt wird, ein.

Eine nachhaltige Stadtentwicklung wirkt aber auch sozialer Ungleichheit entgegen. Die Stadt und ihre Tochter, die GWG, verfügen über ein wirkungsvolles Instrument. Mit Neubauprojekten könnten sie über die Schaffung bezahlbaren Wohnraums hinaus, aktive Stadtentwicklung betreiben. Kurze Wege, gute Anbindung, grüne Wohlfühloasen usw. usf. – all das sollte eine gelungene Stadtplanung im Blick haben.

Wenn es nach dem Willen von CDU – nun mit Unterstützung von Bündnis 90/Die Grünen - geht, dann überlässt Wülfrath die Stadtentwicklung den Investoren. Grund und Boden wird verkauft und Gestaltungsmöglichkeiten und Werte verspielt.

DIE LINKE/Wülfrather Liste versteht unter Generationengerechtigkeit, der Jugend eine intakte Infrastruktur zu hinterlassen. Ihnen Chancen und Möglichkeiten zu eröffnen und Werte zu übergeben. An einem Ausverkauf der Stadt wollen und werden wir uns nicht beteiligen.

Während andere Kommunen das Niedrigzinsniveau genutzt haben, um in den Ausbau von Kitas, Schulen, Straßen und/oder der Sanierung von Gebäuden zu investieren und so Werte zu erhalten bzw. zu schaffen, glaubt eine Mehrheit der Wülfrather Politik scheinbar an die Mär, dass eine Stadt sich „gesund sparen“ kann.

Wenn Bund und Land ihrer Pflicht nicht nachkommen und eine aufgabengerechte Finanzstruktur schaffen, wird sich das Wülfrather „Einnahmen-Ausgaben-Karussell“ auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger weiter drehen.

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

ändert sich also auf Bundes – und Landesebene nichts, befürchte ich, dass dies nicht unsere letzte Fahrt war, welche die Wülfratherinnen und Wülfrather mit einer Steuererhöhung bezahlen.

DIE LINKE/Wülfrather Liste lehnt den städtischen Haushalt 2021 ab.

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